Das Ende der Creative Green Tools
Der kulturspezifische CO₂-Rechner wird vom Markt genommen – und mit ihm ein wertvolles Werkzeug für die Erstellung von CO₂-Bilanzen, an das sich viele langsam gewöhnt hatten.
Kulturbetriebe unterscheiden sich ziemlich grundsätzlich von Industrie und Handel. In ihnen haben Geschäftsprozesse wie der Publikumsverkehr, das Catering und Touring oder Leihverkehr einen höheren Stellenwert als Rohmaterialien, Herstellungsprozesse und Handelslogistik.
Für die Erstellung einer CO₂-Bilanz eines Kulturbetriebes ist es deshalb ein Segen, wenn der verwendete CO₂-Rechner solche Betriebe kennt und versteht und die diversen Prozesse auch abbilden kann.
Ein solcher CO₂-Rechner speziell für die Kultur sind die Creative Green Tools, entwickelt von der britischen gemeinnützigen Firma Julie's Bicycle. Die Bedienoberfläche ermöglicht es, ohne komplizierte Excel-Listen spezielle Messgrößen wie Publikumsanreisen, Materialien für das Set-Design, Künstler:innen-Unterbringung usw. einzutragen.
Das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien (ANKM) lizenziert den CO₂-Rechner von Julie’s Bicycle seit 2021 im Rahmen eines Pilotprojekts, unter anderem mit Mitteln der E.ON-Stiftung. Er wurde übersetzt und mithilfe der EnergieAgentur.NRW an den deutschen Markt angepasst.
Seither haben hunderte Menschen mit diesem Rechner in Deutschland CO₂-Bilanzen erstellt. Allen voran die weitergebildeten und IHK-zertifizierten „Transformationsmanger:innen Nachhaltige Kultur“, die vom Aktionsnetzwerk ausgebildet und im Umgang mit dem Rechner geschult wurden. Auch in weiteren Pilotprojekten wurde der Rechner verstärkt für Kulturbetriebe in NRW, Baden-Württemberg, Sachsen und Hamburg eingesetzt.
Das Ende der Creative Green Tools
Seit Januar 2023 warnt ein Disclaimer auf der Website, dass der Rechner künftig nicht mehr zur Verfügung stehen wird.
Originaltext des Disclaimers auf der Website, der seit Januar 2023 dort zu sehen ist:
Liebe Test-Benutzer:innen des Creative Green Germany Tools, leider läuft die öffentliche Betaphase des Rechners im Sommer 2023 aus. Ab dem 15. Juni 2023 wird der Rechner und die damit erstellten Klimabilanzen vorerst nicht mehr zur Verfügung stehen.
Bis zum Sommer ist der Rechner für Sie zu Testzwecken nutzbar, jedoch werden keine weiteren Updates und Bugfixes umgesetzt.
Für eventuell vorhandene Bugs übernehmen wir keine Garantie und bitten Sie, die erstellten Klimabilanzen lediglich für Tests und nicht kommerzielle Zwecke zu nutzen. Aufgrund der fehlenden Support-Struktur bitten wir zudem von Nachfragen abzusehen.
Ihr Creative Green Germany Tools Team beim Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit
Wieso wird der Rechner verschwinden?
Auf Anfrage bestätigte Jacob Bilabel, Leiter des Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien (ANKM), dass der Rechner für unbestimmte Zeit vom Netz genommen wird. Er hoffe, dass der Rechner im Herbst in einer anderen Form wieder verfügbar sein wird. Für ein paar Monate werde es ihn aber definitiv nicht geben.
Das ANKM hofft auf Förderung seitens der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), die jedoch bislang ausblieb. Das könnte auch mit dem Brexit zu tun haben, denn der Rechner wird in Großbritannien entwickelt. Anstatt diesen existierenden Rechner zu unterstützen, plant die BKM wohl aus rein politischen Gründen die Entwicklung eines eigenen, bundeseinheitlichen Rechners. Zu diesem Zweck wurde bereits eine Kommission eingesetzt, jedoch steht dieser Prozess noch ganz am Anfang und wird Jahre dauern. Eine verpasste Chance der internationalen Zusammenarbeit.
Das ANKM wird währenddessen mit Nutzer:innenanfragen überhäuft, können aber diesen Kundenservice für ein kostenloses Produkt nicht leisten. Dort wurden aus eigener Kraft nicht die Strukturen aufgebaut hat, um den Rechner langfristig und gewinnbringend betreiben zu können. Auf ihrer Website heißt es:
Für den bundesweiten Rollout des Klimabilanz Rechners für die Kultur fehlt aktuell noch die Förderung der nötigen zentralen Support Struktur. Diese ist beantragt.
Es scheint so, als würde man sich gänzlich auf eine mögliche Förderung seitens der BKM oder Stiftungen verlassen. Ich wünschte mir, dass das Aktionsnetzwerk stattdessen ein echtes Geschäftsmodell entwickeln würde, das die Serverkosten und Lizenzkosten an Julie’s Bicycle decken kann.
Das wäre ökonomisch nachhaltig. Denn wer mit Fördergeldern einen CO₂-Rechner auf den Markt bringt und Menschen im Umgang des Rechners im Rahmen einer Weiterbildung schult; dann aber den Rechner wieder ersatzlos vom Markt entfernt, handelt kurzsichtig und unnachhaltig.
Wenn kein Erlösmodell entwickelt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Rechner nicht mehr über Fördergelder weiter finanziert wird. In diesem Fall: etwas mehr als zwei Jahre. So bleibt das Projekt hinter seinen Erwartungen zurück, den Kulturbetrieben ein brauchbares, branchenspezifisches Werkzeug für ihre CO₂-Bilanzen zu liefern.
Ich habe Bilanzen mit dem Rechner erstellt, die verloren gehen werden. Was sollte ich jetzt tun?
Unter dem Menüpunkt Ergebnisse → Zusammenfassung/Vergleichen/Detail können jeweils Bilanzierungsergebnisse als CSV- oder PDF-Datei heruntergeladen werden.
Wieso kann ich nicht einfach die britische Version nutzen?
Auch wenn du fließend in Englisch bist, gibt es gute Gründe, nicht einfach den britischen Rechner zu verwenden. Die hinterlegten Emissionsfaktoren sind oft speziell für eine Region zugeschnitten. Der nationale Strommix in Großbritannien ist anders als in Deutschland, genau wie die Berechnung von Emissionen aus z. B. Wasser und Abwasser, denn diese sind bedingt durch die lokale Infrastruktur.
Welche Alternativen gibt es?
Einige Alternativen habe ich in einem separaten Artikel für dich zusammengestellt: