Adele in Munich — Ein Event der Superlative, auch bei den CO₂-Emissionen.

Adele in Munich — Ein Event der Superlative, auch bei den CO₂-Emissionen.
Das Adele-Publikum auf dem Weg zum Einlass des Adele Stadion in München. Foto © Laura Kleber

Als Botschafter des Europäischen Klimapakts und Aktivist bin ich gemeinsam mit einer Gruppe engagierter Klimaaktivist*innen von Music Declares Emergency auf dem Weg nach München. Im Zug sitzen wir umgeben von Fans, die voller Vorfreude auf Adeles Konzertreihe „Adele in Munich“ sind. Für echte Adele-Fans ein Must-See-Event, und die Begeisterung ist ansteckend.

Konzertreihe der Superlative

Adele hat im August 2024 mit einer Serie von 10 Konzerten in einem eigens für sie errichteten Adele Stadion in München Musikgeschichte geschrieben. Die Dimensionen dieses Events sind atemberaubend: 75.000 Sitzplätze, die weltgrößte Outdoor-LED-Wand der Welt, über 90 Millionen Euro Produktionskosten – eine der bisher weltweit teuersten aber auch lukrativsten Konzertveranstaltungen.

Eine Darstellung des Adele Stadions in München. Render © Florian Wieder

Residencies vs. Tourneen

Auf den ersten Blick erscheint eine Konzertreihe wie diese – auch Residency genannt – nachhaltiger als eine Tournee: Weniger Reisen für die Künstlerin und ihre Crew, ein fester Ort, an dem alles zentralisiert ist und nur einmal aufgebaut werden muss. 
Aber was ist mit den Fans? Initiativen wie Music Declares Emergency haben längst darauf hingewiesen, dass die Anreise des Publikums den größten Anteil der CO₂-Emissionen bei Großveranstaltungen ausmacht. Die im Mai 2024 erschienene Studie TICKET TO RIDE, die die Publikumsanreisen der Sommertour 2023 von AnnenMayKantereit analysierte, belegte das auch mit Zahlen: Die Anreisen verursachten dort fast 90 % der Gesamtemissionen. Auch andere Studien kommen auf 42–90 % (A Greener Future, Plant a Seeed).

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Publikumsanreisen sind der größte Anteil der CO₂-Emissionen eines Konzerts, oft bis zu 80-90% der Gesamtemissionen.

Die Entscheidung, eine zentrale Megakonzertreihe an einem Ort zu veranstalten, anstatt mehrere kleinere Konzerte in verschiedenen Städten, könnte sich deshalb als klimapolitisches Fiasko erweisen.

Daten sammeln und Missstände aufzeigen

Als wir schließlich in München ankommen, wird das gigantische Ausmaß des Events noch deutlicher. Im Newsticker auf den Bildschirmen im Bus, der uns zum Stadion bringt, steht: „Mobilfunkanalyse: Hälfte der Adele-Besucher aus dem Ausland“ (Vodafone). Wir treffen auf Anja von Extinction Rebellion und Stefan von den Creatives for Future. Das Thema verbindet, und wir haben uns sehr gefreut, Unterstützung von Münchner Klima-Gruppen zu erhalten.

Unser Plan war, gemeinsam vor Ort das Publikum zu ihrer Anreise zu befragen, um zum ersten Mal konkrete Daten zum Anreiseverhalten und den damit verbundenen CO₂-Emissionen zu erhalten. Zunächst waren wir etwas aufgeregt: Würden uns die Security sofort hochkant hinauswerfen, wenn wir vor dem Einlass stehen und Menschen ansprechen? Würden wir vielleicht sogar einen Platzverweis von der bayerischen Polizei bekommen? Das Gegenteil ist eingetreten: Alle waren wirklich nett und kollegial, und haben uns in Ruhe befragen lassen.

Befragungen haben wir mit der Crowd Impact App vorgenommen. Foto © Julia Nagele

Langsam wurden es immer größere Menschenmassen, die sich ihren Weg von den Parkplätzen, dem Taxistand und dem U-Bahnhof Messestadt Ost zum Stadion bahnten. Alle sind herausgeputzt und es steht ihnen die Vorfreude im Gesicht, sodass man sich nur mit freuen konnte. Wie schön es doch ist, dass wir zusammenkommen und unsere Musik gemeinsam feiern können. Das müssen wir doch auch klimaverträglich hinbekommen können.

An zwei Konzerttagen war es uns möglich, mit der Crowd Impact App insgesamt 1407 Menschen zu befragen, welche Verkehrsmittel und Anreisewege sie genommen haben. Flugreisende haben wir außerdem gefragt, ob sie extra für das Konzert angereist sind.

Foto © Julia Nagele

Ernüchternde Bilanz

Einige Tage später sitze ich im Impact Hub Berlin am Computer und sehe mir die Daten an. Die Ernüchterung ist groß, denn unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet:

24% der Besucher*innen haben sich für das Flugzeug entschieden

24.3 % haben den Flug als Hauptverkehrsmittel gewählt. Das heißt, dass sie die meisten Kilometer ihrer Anreise mit dem Flugzeug zurückgelegt haben. n=1407. Quelle: Crowd Impact App

52 % der Reisekilometer wurden mit dem Flugzeug zurückgelegt

Ein Diagramm, das den Modal Split verschiedener Transportmittel zeigt. Der größte Anteil sind Flüge, die 50,8 % der Verkehrsleistung ausmachen, d.h., 50,8% aller zurückgelegten Strecken des Publikums zum Konzert sind geflogen worden. n=1407. Quelle: Crowd Impact App

77 % der Anreiseemissionen sind Flugemissionen

n=1407. Quelle: Crowd Impact App

Aber vielleicht sind die meisten ja nicht extra wegen Adele nach Deutschland geflogen, sondern haben noch andere Gründe oder schließen eine längere Reise an? Leider nein: 92 % der Flugreisenden gaben an, das Konzert sei der ausschlaggebende Grund für die Flugreise gewesen. Manche reisten sogar gleich am nächsten Tag schon in weit entfernte Länder wie Katar oder den USA ab.

Eine Familie aus Portugal blieb mir besonders im Gedächtnis, die mit fünf Personen im Auto aus Portugal anreiste. Zugegeben, man muss schon wirklich Adele-Fan sein, um eine solch lange Reise auf sich zu nehmen! Da überlegt man sich zweimal, ob man nicht lieber mit dem Flugzeug reist. Hätten die 5 sich aber in ein Flugzeug gesetzt, wären die Emissionen um ein vielfaches höher gewesen.

Der Flug wäre für die 5-köpfige Familie aus Portugal mit 4× mehr CO₂-Emissionen verbunden.

Am besten für die portugiesische Familie wäre es gewesen, wenn Adele in Lissabon oder Madrid aufgetreten wäre und sie so weit gar nicht erst hätten reisen müssen.

Was hätte eine Tournee geändert?

Sehen wir uns mal ein paar Karten an. Auf dieser Weltkarte sind alle Ursprungspunkte des Publikumsanreisen markiert: Rot sind Anreisen mit dem Flugzeug, Blau alle anderen.

Ursprungsorte der Publikumsanreisen: Rot sind Flüge, Blau alles andere (Hauptverkehrsmittel).

Es fällt auf, dass die weiter entfernten Punkte Flüge sind. Das macht Sinn, denn weiter entfernte Reisen werden vor allem mit dem Flugzeug zurückgelegt.

Ursprungsorte der Publikumsanreisen: Rot sind Flüge, Blau alles andere (Hauptverkehrsmittel).

In diesem Diagramm sieht man das noch einmal deutlich. Die Daten zeigen, dass Adele-Fans erst ab einer bestimmten Entfernung vermehrt das Flugzeug nutzen. Gleichzeitig nimmt die Nutzung anderer Verkehrsmittel mit zunehmender Distanz ab. Ab etwa 1000 Kilometern (einfache Strecke) wurde fast ausschließlich das Flugzeug gewählt.

Längere Anreisen werden vor allem mit dem Flugzeug zurückgelegt
Längere Anreisen werden vor allem mit dem Flugzeug zurückgelegt. Hier ist die Entfernung der Hin- und Rückreise angegeben und die gewählten Hauptverkehrsmittel der befragten Personen wurden kumuliert (Annahme: Hinreise ist gleich Rückreise, Hauptverkehrsmittel ist Verkehrsmittel der größten zurückgelegten Strecke). Quelle: Crowd Impact App

Wir stellen also fest: Ein regionales Publikum ist ungleich nachhaltiger. Nicht nur werden kürzere Strecken zurückgelegt, sondern auch nachhaltigere Verkehrsmittel genutzt!

Was wäre also gewesen, wenn Adele statt 10 Konzerten in München 10 Konzerte in verschiedenen Städten Europas gespielt hätte?

Um das herauszufinden, habe ich die Entfernung aller Flüge nach München gemessen und addiert.

Alle Flugstrecken nach München. Wenn die Strecke von vielen Menschen genutzt wurde, ist sie stärker hervorgehoben.

Dann habe ich 10 Städte ausgewählt, die für Europatourneen oft besucht werden. Die Flüge habe ich dann in die nächstgelegene dieser Städte "umgeleitet". Das heißt, dass Besuchende aus etwa Reykjavik nun nicht mehr nach München, sondern nach London zu Adele fliegen.

Aus den selben Ursprungspunkte fliegen die Besuchenden nun in 10 nächstgelegene hypothetische europäische Städte, die oft für Europatourneen genutzt werden.

Das Ganze ist ein Gedankenexperiment, und entspricht natürlich nicht ganz der Realität: Besuchende fliegen nicht immer in die nächstgelegene Stadt, sodass es in Wahrheit vielleicht ein paar mehr Flugkilometer wären. Gleichzeitig würden aber Besuchende aus Liverpool wohl eher den Zug nach London nehmen, anstatt zu fliegen. Es könnte also demnach sogar ganz gut hinkommen. Natürlich hätte es auch zusätzliche Emissionen für Transportlogistik für die Konzertproduktion gegeben. Zahlreiche Studien belegen allerdings, dass diese im Vergleich zu Emissionen aus der Publikumsmobilität gering sind (Ticket To Ride, AGF, Plant a Seeed).

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Ergebnis: Wenn Adele in eine Europatournee 10 europäische Städte besucht hätte, wären 44 % weniger Flugstrecken entstanden, was auch 44 % weniger Emissionen aus dem Flugverkehr entspricht.

Die Ersparnis ist gigantisch. Oder andersherum gesagt: Die Entscheidung, alle Konzerte in München zu veranstalten, hatte schreckliche Auswirkungen für den Planeten.

Doch wie hoch sind die Schäden wirklich, die durch die zusätzlichen Flüge entstanden sind?

Hier kann uns das Umweltbundesamt weiterhelfen, denn dort hat man die Klimaschäden einer Tonne CO₂ für zukünftige Generationen mit Zahlen belegt:

Bei einer Gleichgewichtung klimawandelverursachter Wohlfahrtseinbußen heutiger und zukünftiger Generationen (0% Zeitpräferenzrate) ergibt sich ein Kostensatz von 860 Euro pro Tonne Kohlendioxid.
Gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen
Umweltbelastungen verursachen hohe Kosten für die Gesellschaft, etwa in Form von umweltbedingten Gesundheits- und Materialschäden, Ernteausfällen oder Schäden an Ökosystemen. Im Jahr 2021 betrugen die Umweltkosten in den Bereichen Straßenverkehr, Strom- und Wärmeerzeugung mindestens 241 Milliarden E…

Grob über den Daumen gepeilt liegen die Emissionen aller Publikumsanreisen der Adele-Konzerte bei 77.300 t CO₂e. Es können gerne 10 % mehr oder weniger sein. Für eine höhere Genauigkeit hätten wir mehr Menschen befragen müssen. Dennoch lässt sich eine grobe Zahl ermitteln.

Die entstandenen Klimaschäden belaufen sich also auf ca. 66,5 Millionen €, wovon 50 Millionen € auf den Flugverkehr entfallen. Von diesem Flugverkehr hätten 44 % eingespart werden können.

🥲
Live Nation und Adele haben ca. 23 Millionen € zusätzliche Klimaschäden verursacht, weil sie keine Europatournee veranstaltet haben.

Diesen hohen Preis zahlen wir alle: Du, ich, die ganze Gesellschaft. Live Nation, Adele, und die Stadt München haben stattdessen satt profitiert. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber die Ticketpreise beliefen sich auf bis zu 400 €, und je nachdem wie hoch der durchschnittliche Ticketpreis war, sollte der Umsatz zwischen 120 und 200 Millionen € liegen. Die Produktionskosten beliefen sich auf geschätzt 90 Millionen €. Die Stadt München sprach von 566 Millionen € zusätzliche Einnahmen für die örtliche Wirtschaft durch den zusätzlichen Tourismus.

Der Elefant steht im Raum und fragt: Wer ist verantwortlich uns sollte für die Klimaschäden aufkommen?

Die Besuchenden?

Jede*r von uns ist selbst verantwortlich für die Wahl des Verkehrsmittels und lange Anreisedistanzen.

Die Veranstaltenden?

Sie können ihr Publikum mit Anreizen und Gebühren am besten zur nachhaltigeren Anreise beeinflussen und haben deshalb eine hohe Verantwortung.

Die Stadt?

München hat enorm profitiert und die Klimaschäden dabei in Kauf genommen.

Die Regierung?

In Deutschland wird Kersosin für Flugzeuge immer noch mit 8,3 Milliarden € subventioniert, da es für Fluggesellschaften steuerfrei ist!

Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Können wir uns in dieser Klimakrise Veranstaltungen leisten, die immer größer, toller, superlativer werden? Oder können wir auch eine gute Zeit haben, unsere Stars und unsere Musik feiern, ohne dass dabei LED-Wand- und CO₂-Rekorde aufgestellt werden müssen? Können Musiker*innen regionalere Touren veranstalten und sich ihrer Verantwortung für Publikumsanreisen bewusst werden?

Open Data

Die gewonnenen Daten und Analysen werden hier unter der Deutschen Datenlizenz bzw. der MIT Open Source Lizenz veröffentlicht. Ich stehe für Nachfragen gerne zur Verfügung und bin sehr an Kollaborationen zur weiteren Analyse und Folgeprojekten interessiert!


Zum Schluss möchte ich mich bei allen Partnern bedanken, die diese Aktion ermöglicht haben: Der Europäische Klimapakt, Music Declares Emergency, Extinction Rebellion und Creatives For Future

Die Aktion wurde ideell unterstützt und teilfinanziert vom Europäischen Klimapakt.

Zum Autor: Ich bin Nachhaltigkeitsberater für Kulturbetriebe, Mitgründer von Crowd Impact (klimaklitsche GmbH) und Aktivist bei Music Declares Emergency. Als Botschafter des Europäischen Klimapakts setze ich mich dafür ein, dass die Klimakrise ernst genommen wird und wir gemeinsam für eine lebenswerte Zukunft ins Handeln kommen.